Über die Reise in ein fernes Land – und die Folgen
Seit etwa zwei Jahren gehöre ich nun schon dem Deutsch-Vietnamesischen Freundeskreis an. Im Jahr 2004 konnte ich an der Tet-Feier in Jülich teilnehmen, und war begeistert von dieser Veranstaltung. Als ich nun gefragt wurde, ob ich Interesse habe, einen Beitrag für die Zeitung zum diesjährigen Tet-Fest beizusteuern, habe ich nicht lange gezögert mit der Antwort. Es ist mir eine besondere Freude, hier über meine Eindrücke von diesem, für uns Deutsche so exotischen Landes Vietnam, berichten zu können.
Als ich vor einigen Jahren, es war wohl im Jahr 2000, über mehr soziales Engagement nachdachte, kam mir der Gedanke einer Patenschaft über ein Kind irgendwo auf dieser Welt. Nur wo, war mir nicht ganz klar. Armut und Elend, gerade bei Kindern, ist so alltäglich, dass man es fast nicht mehr wahrnimmt. Nun, am Ende der Entscheidungsfindung stand dann ein soziales Engagement in Vietnam. Warum gerade in Vietnam, das – ist eine andere Geschichte.
Ich nahm Kontakt zu einer international tätigen Organisation auf, welche Projektarbeit auf verschiedenen Gebieten in Vietnam leistet. Parallel dazu bemühte ich mich um eine weitere Patenschaft im Rahmen eines ehrenamtlichen, sprich: privaten Engagements. Es dauerte eine Weile, dann war der Einstieg gefunden, die notwendigen Kontakte geknüpft, das „Sponsoring“ konnte anlaufen. Von Anfang an stand für mich fest: nicht nur materielles Sponsoring sollte angesagt sein, auch persönliche Kontakte sollten hergestellt werden. Sehen und erleben, wie und in welchem Umfeld „meine“ Patenkinder leben, ist für mich von größtem Interesse. Wichtiger Nebeneffekt: das Land nicht nur aus der Touristenperspektive sehen zu können. Gesagt getan, es wurden die üblichen Reiseführer, Bildbände, Landkarten beschafft, es folgten Recherchen im Internet, die Homepage der vietnamesischen Botschaft in Deutschland aufgesucht. Alle Dokumentationen, die im Fernsehen über Vietnam gesendet wurden (das waren mehr als man glaubt), habe ich mitgeschnitten und angesehen. Das Bild eines fernen Landes wurde zunehmend klarer und die Freude auf einen Urlaub dort wuchs. Obwohl dem Inhalt von Bildbänden, Reiseberichten, Reisebürokatalogen stets mit Vorbehalten begegnet werden sollte, war ich sicher, das vorzufinden, was ich bereits auf Fotos groß- und weniger großformatiger Bildbände und Reiseführer gesehen hatte.
Endlich, im Januar 2003 sollte die Reise beginnen. Alles war organisiert, etliche Impfstoffe waren verabreicht worden, neuer Paß, Visum, Flugticket, Hotel gebucht, diverses Zusatzgepäck von Freunden, die schon vorausgereist waren übernommen: also, alles Top. Doch – der Auftakt endete im Chaos. Böses Omen? Nein, wohl eher Streß, selbst erzeugt !! Stichwortartig gebe ich den Ablauf hier wieder, zum Amüsement für die Einen, als Hinweis, wie man es nicht machen sollte, für Die Anderen, oder: wie jemand aus der Provinz in die große, weite Welt reist.
Also, am Abend vor dem Abflug, Übernachtung bei der Schwester in der Nähe von Frankfurt, da von dort der Flughafen mit der Bahn gut erreichbar ist. Alles bestens, am nächsten Morgen vor der Abfahrt zum Bahnhof, Gepäck-Kontrolle. Gepäck, Reisedokumente: alles da. Flugticket: Fehlanzeige. Hinweis der Schwester, am besten die Tasche ganz auszuleeren wurde ignoriert, weil: wenn Ticket nicht da ist, wo es sein sollte, dann ist es nicht da. Kurzum, Rückfahrt zum Wohnort. Unterwegs, 10:45 Uhr, blick zum Himmel: ja, jetzt startet wohl das Flugzeug. Na denn, by by, up and away. Zu Hause Bordgepäck ausgepackt, erstes zu Tage gefördertes Dokument: Flugticket. Da kommt Freude auf. Also, auf nach Köln zu My Anh Travel, Umbuchen, einhundert (oder mehr) Euro zahlen, einige Tage später erneuter Versuch, endlich in das ferne Land aufzubrechen. Gleicher Ablauf wie vorher, dieses Mal keine Probleme. Auf zum Bahnhof, hinein in den (pünktlich eingelaufenen !!!) Zug und ab ging die Post bzw. Bahn. Es war ein bitterkalter, klarer Januarmorgen, der Zug voll, aber gut geheizt ! Also mit dem diversen Gepäck stehend bis Frankfurt. In mäßigem Tempo ging es voran, fünfzehn Kilometer, dann ging nichts mehr. Bremsen kaputt, weil draußen kalt, zu kalt für deutsche Züge. Aber: kein Grund zur Panik, wir „Reiseprofis“ planen stets genügend Zeit für Pannen ein ! Nach gut einer Stunde ging es weiter, das Flugzeug konnte bequem erreicht werden, startete ebenfalls pünktlich.
Am Nachmittag des übernächsten Tages, endlich Ankunft auf dem Flughafen von Ho Chi Minh City. Dort wartete bereits das „Empfangskomitee“, die schon eine Woche in HCMC anwesenden Bekannten, Mutter, Tante, Schwestern des Patenkindes und – das Patenkind mit einem Strauß roter Rosen. Es gab schöne, feuchte Begrüßungsküsse vom Patenkind. Ja, so möchte man immer empfangen werden. Ein bewegendes Erlebnis war der Empfang, ich werde diese erste Begegnung mit dem kleinen vietnamesischen Mädchen wohl nicht vergessen.
Dann ging es per Taxi zum Hotel. Bereits nach einigen hundert Metern Fahrt war klar: hier ist nichts wie in Deutschland. Die Hitze war das geringste Problem. Ungläubig staunend wurde der Verkehrsfluß, das Verhalten der Verkehrsteilnehmer und die Menge der Fahrzeuge registriert. Ebenfalls war ziemlich schnell klar: nach der Rückkehr in Deutschland wird mich als Verkehrsteilnehmer in diesem Land nichts mehr erschüttern können.
Im Hotel angekommen, wurde das Quartier bezogen. Es schien nicht schlecht zu sein, bot doch das im vorletzten Stockwerk des kleinen Hotels gelegene Zimmer einen guten Ausblick auf einen Teil der nahen Umgebung. So hatte ich gute Gelegenheit, das Leben „unten“ zu beobachten. Interessantes Studienobjekt war eine stark befahrene Straßenkreuzung sowie die sich täglich im Bereich der Kreuzung abspielende Müllsortier- und Umladeaktion.
Leider war es nicht möglich, das Fenster des Hotelzimmers längere Zeit geöffnet zu halte, geschweige denn, von dem kleinen Balkon meine Beobachtungen zu machen. Der Lärm war ohrenbetäubend und die Luft entsetzlich. Daran musste man sich die nächsten Wochen wohl oder übel gewöhnen.
In den nächsten Tagen wurde die Stadt, soweit möglich, zu Fuß erkundet. Kaum zu beschreiben sind die Eindrücke, die ich als Nordeuropäer der das erste Mal eine asiatische Großstadt besucht, gesammelt habe. Wenn nicht offiziell benötigt, benutze ich gerne den vorherigen Namen der Stadt, weil in dem Name, so meine ich, bereits viel vom exotischen Flair und auch ein wenig von der Mystik asiatischer Länder mitklingt, die uns Europäer so fasziniert.
Zu Fuß in Sài Gòn unterwegs, schien mir zunächst als eine (vielleicht vom Tourismusbüro organisierte?) Form des Survival-Trainings für Touristen zu sein. Insbesondere wenn man in der Nacht des Jahreswechsels unterwegs ist. Dann ist es eigentlich egal, ob zu Fuß oder motorisiert Aber dieses Training findet jeden Tag statt, auch war es während weiterer Besuche immer noch auf dem Programm. Nein, alles echt, nichts ist inszeniert. Nach anfänglich Vorbehalten, habe ich dann auch das Moped als effizientes Verkehrsmittel endeckt. Preiswert, schnell und man Lernt Menschen kennen. Die Nähe macht es möglich. So habe ich zunächst alle für Touristen interessanten Plätze und Sehenswürdigkeiten aufgesucht, danach habe ich mich stets dort aufgehalten, wo sich das tägliche Leben der Stadtbewohner abspielt. Im Touristenviertel waren mir einfach zu viele Touristen. Sài Gòn habe ich kennen (und lieben!) gelernt. Es ist das unbeschreibliche Gewusel, das Quirlige, die Geschäftigkeit der Menschen (fast) rund um die Uhr, die Menschen selbst. All das zieht mich in den Bann. Diese Stadt scheint Power ohne Ende zu haben. Nicht umsonst wird sie als der Motor des Landes bezeichnet, zu Recht meine ich. Gut, gelegentlich war ich etwas genervt, wenn ich lange unterwegs war und ein schattiges Plätzchen ausfindig gemacht hatte, an welchem ich mir eine relativ ruhige Pausenzeit versprach, nach noch nicht einmal fünf Minuten jedoch von irgendeinem der unzähligen Händler und Händlerinnen lokalisiert worden war. Schuhputzer, Spielwaren-, Kokosmilch-, Melonen-, Postkarten-, Buch- und Sonnenbrillenverkäufer, zahllose „Studenten“, alle wollten in’s Geschäft kommen. Am Ende des Tages hätte ich selbst ein Geschäft eröffnen können, hätte ich jedem Händler auch nur ein Teil abgekauft. Wie gesagt, gelegentlich nervte es ein wenig, aber ich habe es nie als Belästigung empfunden. Es ist Teil des Lebens der Menschen dieser Stadt, die nicht das Glück in Form eines sicheren Jobs haben, welcher sie und ihre Familien ernährt. Ich habe später Einblicke in die Welt derer erhalten, die durch Straßengeschäfte versuchen ein wenig Geld für ihren und den Lebensunterhalt der Familie zu verdienen. Der Top-Job ist das bestimmt nicht.
Sài Gòn hat viel zu bieten, anfangs ist alles ein wenig unübersichtlich, aber auch ohne Führer kommt man gut zurecht. Die zahllosen, wunderschönen Tempel haben es mir besonders angetan. Oasen der Ruhe und Besinnlichkeit, auch für den, der einer anderen Religion als der des Buddhismus oder Taoismus angehört.
Inzwischen kenne ich mich schon etwas aus in der Stadt. Wenn ich dort bin, benötige ich nur wenig Zeit, mich an das Leben zu gewöhnen. Was allerdings ständig zunimmt ist der ohrenbetäubende Lärm, welcher von morgens bis in die späte Nacht wie eine Glocke über der Stadt liegt. Hat man in Unkenntnis ein Hotel an einer Ausfall- oder Einfallstraße gebucht, muß man mit wenig schlaf auskommen, wenn man nicht zu entsprechenden, den Schlaf fördernden Mittel greift. Denn abends werden bestimmte Straßen für den Schwerverkehr freigegeben. Da in Vietnam Dauerhupen Pflicht zu sein scheint, steht man stets senkrecht im Bett, wenn ein Lastwagen unter Nutzung des Luftdruckhorns passiert. Ich habe gute Erfahrungen mit dem äußerst preisgünstigen Mittel „Saigon-Beer“ gemacht. Zu fuß durch die Stadt, gutes Essen und ein Schlaftrunk, lassen auch den Euro-Touristen wenigstens für Stunden ebenso lärmresistent werden, wie die Vietnamesen es anscheinend von Geburt an sind.
Die Luft in der Stadt ist entsetzlich schlecht und der Verkehr ist ein echtes Problem. Dennoch, ich mag diese Stadt und Ihre Menschen. Ich mag das scheinbare Chaos. Nie könnte ich mich mit dem Gedanken anfreunden, in einer deutschen Großstadt leben zu wollen. In Sài Gòn zu leben, dagegen hätte ich nichts. Wenn man sich in eine Stadt verlieben kann, dann ist mir das wohl widerfahren. Zumindest finde ich die Stadt liebens- und lebenswert. Immerhin hat es mich eines Abends im Hotel spontan zu Papier und Kugelschreiber greifen lassen, um ein „Liebesgedicht“ zu schreiben. Meine kleine Hommage an Sài Gòn.
Von Sài Gòn ausgehend habe ich mit dem Moped (nicht als Fahrer!!) die nähere Umgebung „erfahren“ und mit dem Bus, Fahrten nach Phan Thiet und Mui Ne unternommen. Mehrfach war ich auch in Hanoi, um mein dort lebendes Patenkind und dessen Familie zu besuchen. Wenn mich jemand fragen würde, ob denn ein Unterschied zwischen beiden Städten feststellbar ist, würde ich folgenden, natürlich überspitzten Vergleich wagen: Sài Gòn und Hanoi unterscheiden sich voneinander wie Paris und Münster in Westfalen.
Aber auch Hanoi ist eine sehr liebenswerte Stadt. Unübersehbar, das Hanoi die Landeshauptstadt ist. Das fällt schon bei der Ankunft auf dem Flughafen auf. Insgesamt ist die Infrastruktur im Großraum Hanoi deutlich besser als in Sài Gòn. Auch, so mein Eindruck, ist man disziplinierter, auch etwas behäbiger. Allein die Zahl der Mopedfahrer mit Schutzhelm macht deutlich: hier ist man nicht in Sài Gòn. Das rasante Tempo des Südens ist hier nicht zu spüren. Bestimmt ist der Lärmpegel nicht so hoch wie in Sài Gòn und die Luft ist wesentlich besser. Viel gibt es zu sehen und die schönen Parks mit den kleinen Seen waren ein beliebtes Ziel, um gemütlich einen Kaffe zu trinken oder einfach nur den Menschen zuzusehen. Weiterhin ist die Umgebung von Hanoi erwähnenswert. Nur wenige Kilometer entfernt findet man fantastische Landschaften und beeindruckende Zeugnisse der Vergangenheit und der Kultur Vietnams. Unvergesslich die vierstündige Kreuzfahrt in der Halong-Bucht, Besuch der „Parfümpagode“ am Yen-Fluß gelegen, Literaturtempel und und…. .
Während meiner stets nur kurzen Aufenthalte in Vietnam habe ich außerordentlich freundliche und liebenswerte und hilfsbereite Menschen getroffen, viele Bekannt- und Freundschaften geschlossen. Verständigungsprobleme hat es nie gegeben. Ich habe atemberaubend schöne Landschaften gesehen und mich wohler gefühlt als in meinem Heimatland, auch oder vielleicht gerade, weil manches nicht so überorganisiert und –reglementiert ist wie in Deutschland. Gelegentlich war mein Eindruck, das dort wo Regelungen bestehen, die Menschen ziemlich vergesslich zu sein scheinen.
Bislang konnte ich nur einen kleinen Teil des Landes kennen lernen. Aber Vietnam hat noch viel mehr zu bieten. Das zu entdecken, ist mein Ziel für die nächsten Jahre. Vietnam ist für mich das Synonym für ein exotisches und asiatisches Land. Hier kann Man Asien noch unverfälscht erleben. Bestimmt kehre ich noch einmal dorthin zurück. Allein um meine von Jahr zu Jahr immer hübscher werdenden „Töchter“ zu besuchen.
Ach ja, da gibt es noch etwas: wenn ich vorher von meiner Liebe zu Sài Gòn berichtete, so ist es dabei nicht geblieben. Da ist noch eine bezaubernde Vietnamesin. Wie diese Liebe entstand, das – ist wieder eine andere Geschichte. Feuchte Küsse gibt es jetzt nicht nur vom Patenkind. Wir hoffen, wenn die bürokratischen Hürden überwunden sind, in diesem Jahr heiraten zu können. Die Folgen der Reise in ein fernes Land, mit welchem ich noch lange „nicht fertig“ bin.
Xin Chào Viet Nam – Chúc Mù’ng Năm Mó’i 2007!
Walter Meyer
Bad Godesberg